ORT 69 des Kunstprojekts »GRAVUREN« erinnert an Johann Stefka

8. Mai 2014. Weit mehr als einundert Menschen nahmen heute an der 69. Ortsmarkierung des Kunstprojektes GRAVUREN DES KRIEGES teil. Die meisten von ihnen sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den vielfältigen Ausbildungsangeboten des Berufsförderungswerks Dresden. Dessen ausgedehnter Schulkomplex besetzt jene Stelle, an der sich bis zum Mai 1945 die Kasernenanlagen des Dresdner SS-Pionier-, Ausbildungs- und Ersatzbataillon 1 befanden. Nur einige wenige Gebäude aus jener Zeit sind erhalten. Auch die geschichtlichen Ereignisse, auf die sich dieses 69. Mahndepot des Kunstprojekts bezieht, sind kaum einem der Versammelten bekannt. Die schlichte, seit heute in den Boden eingelassene Edelstahlhülse mit der Aufschrift ORT 69 wird künftig eine Erzählung abrufen, die einen oft verdrängten Aspekt der Stadtgeschichte – und eine konkrete Biografie – erinnert.

Matthias Neutzner, Mitglied der Künstlergruppe kunstplan, verlas den Text, der in die Hülse eingelassen ist:
»Am 23. März 1945, 6 Uhr morgens, wurde Johann Stefka im Kasernengelände des Dresdner SS-Pionier- , Ausbildungs- und Ersatzbatallions 1 an der Hellerhofstraße wegen Fahnenflucht erschossen. Der Friseurlehrling aus Wien war drei Wochen zuvor 18 Jahre alt geworden. Die Leiche wurde noch am gleichen Tag anonym in einem Reihengrab auf dem St.-Pauli-Friedhof bestattet. Die Friedhofsgebühr von 16 Reichsmark trug die Waffen-SS.
Bis wenige Tage vor der deutschen Kapitulation wurden weitere Todesurteile des Dresdner SS- und Polizeigerichts V im Kleinkaliberschießstand der SS-Pionierkaserne vollstreckt. Die Militär- und SS-Justiz war auch in Dresden ein Verfolgungsinstrument im Dienste der völker-rechtswidrigen Kriegsziele. Rechtsstaatliche Prinzipien wie richterliche Unabhängigkeit oder Berufungsmöglichkeiten waren außer Kraft gesetzt. In der Schlussphase des aussichtslosen Krieges radikalisierten Wehrmacht und SS ihre ›Rechtsprechung‹ weiter: Jeder Befehlshaber konnte ein ›Standgericht‹ einsetzen, die Todesstrafe verhängen und sofort vollstrecken lassen.«


 

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Claudia Reichert (Gruppe kunstplan) setzt die Markierung für ORT 69 ein.
[Foto: Norbert Neumann]


Seit 2001 markiert die Künstlergruppe kunstplan Erinnerungsorte an Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg im Dresdner Stadtgebiet durch »Mahndepots«. Sie erinnern sowohl an Biografien von Menschen der Stadt als auch an solche von Institutionen und Gebäuden und stehen stellvertretend für die komplexe und widersprüchliche Geschichte jener Zeit von Alltag, Diktatur und Krieg.

Die Markierung von ORT 69 erfolgte im Kontext der Initiative »8. Mai in Dresden«, mit der verschiedene Dresdner Gruppen an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern wollen. Matthias Neutzner: »Das Datum 8. Mai gibt uns die Möglichkeit, gemeinsam an Leid und geschichtliche Verantwortung zu erinnern. Es ist gleichzeitig eine Gelegenheit, sieben Jahrzehnte Frieden für unsere Stadt zu feiern – und damit eine zivilisatorische Leistung zu würdigen, deren Wert auch in unserer Gegenwart bewusst sein sollte.«

Informationen zum Kunstprojekt GRAVUREN DES KRIEGES: www.mahndepots.de.