Auf Deutsch: Dresden erinner Dich! Der Titel in polnischer Sprache macht die Blickrichtung der Veranstaltungsreihe deutlich: Im deutsch-polnisch-russischen Forum »Wandel in Erinnerung« wird der Umgang mit Vergangenheit aus einer ungewohnt vergleichenden Perspektive thematisiert. An den Veranstaltungsorten Cottbus, Zielona Gorá und Dresden finden zwischen dem 4. und 11. November 2015 Ausstellungen, Filmbeiträge, Diskussionen und Ortserkundungen statt: »25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sind Anlass, einen Blick auf die Zeit nach Perestroika, Solidarnosc und Mauerfall zu werfen«, so die Veranstalter, die Deutsch-Polnische Gesellschaft Sachsen, das FilmFestival Cottbus und der Verein MitOst.
Dresden, erinner Dich! Dresdner Erinnerungskultur im Gespräch
Unter diesem Titel fand am heutigen 9. November 2015, einem mehrfach belegten und belastetem Erinnerungsdatum, eine Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Forum-Reihe in der Dresdner Landeszentrale für poltische Bildung statt. Für unsere Gruppe nahm Matthias Neutzner daran teil. Weitere Referenten waren Birgit Sack (Gedenkstätte Münchner Platz Dresden), Joachim Klose (Konrad-Adenauer-Stiftung), Klaus-Dieter Müller (ehemals Stiftung Sächsische Gedenkstätten), Peter Schumann (Verein Bussmannkapelle / Sophienkirche Dresden). Moderiert wurde die Veranstaltung durch Justus Ulbricht (Sächsische Landeszentrale für politische Bildung).
Befragt nach dem Gehalt und der Relevanz des Dresdner Erinnerns betonte Matthias Neutzner die Pluralität von Erinnerungskulturen in Dresden, die jeweils von spezifischen sozialen Gruppen ausgebildet wurden und werden. »Das eine ›Dresdner Erinnern‹ ist eine Fiktion. Stattdessen haben sich gerade vor dem Hintergrund der spezifischen geschichtlichen Symbolik der Stadt vielfältige, oft konkurrierende Zielsetzungen und Formen des gemeinsamen Erinnerns entwickelt. Öffentlicher Zugriff auf Geschichte ist nie zweckfrei.« Im Streit um den angemessenen Umgang mit der Dresdner Vergangenheit in Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg wird dies oft verkannt, so Neutzner. »Ein ›stilles Gedenken‹ – im Sinne von apolitisch und allein innerlich – ist nie für Dresden typisch gewesen. Kerzen vor der Ruine der Frauenkirche waren in den 1980er Jahren Ausdruck einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, die den Jahrestag als seltene Gelegenheit für offenen politischen Diskurs nutzte. Seit Jahrzehnten ist das Erinnern an die Luftangriffe auf Dresden vielfältig mit aktuellen Themen wie Frieden und Gewalt, Leiderfahrung und gesellschaftliche Verantwortung, Demokratie und Diktatur, Menschenwürde und Solidarität verbunden.«
In der lebhaften Diskussion zu den Potentialen des gemeinsamen Erinnerns wies Matthias Neutzner auf die Chance hin, die Auseinandersetzung mit Vergangenheit als politische Bildung zu gestalten – Bildung, die auf die Stärkung der politischen Urteils- und Handlungsfähigkeit zielt. »Dies scheint jedoch neue Ansätze im öffentlichen Umgang mit Erinnerungsorten, mit Ritualen, mit Vermittlungs- und Bildungsangeboten zu benötigen.« Neben den etablierten Institutionen wie Gedenkstätten, Museen, politischen Stiftungen etc. müssten systematischer als bisher Soziokultur und Alltagsräume erschlossen werden. »Was wir zu allerletzt benötigen, sind weitere pathetisch aufgeladene, simplifizierende oder gar manipulierende Gedenkorte und Gedenkrituale«.