Auf Einladung der Bauhaus-Stiftung Dessau und des Dessauer Netzwerks GELEBTE DEMOKRATIE hielt IG-Mitglied Matthias Neutzner am 4. Juli einen Vortrag im Begleitprogramm der Ausstellung »Dessau 1945 – Moderne zerstört«.
Die Ausstellung setzt sich mit dem »janusköpfigen Erbe der Moderne in Dessau«, so die Positionierung der Kuratoren, auseinander. Zu diesem Erbe gehört das dramatische Finale – die nahezu vollständige Zerstörung des Stadtzentrums durch allierte Luftangriffe im März 1945 – genauso wie Dessaus Verstrickungen in die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland: »Die einstige Residenzstadt in Anhalt war zum Inbegriff für Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit geworden, und das in Dessau produzierte ›Schädlingsmittel‹ Zyklon B wurde zur traurigen Vokabel für den Völkermord an den europäischen Juden. Und dort, wo einst die Bauhausmeister gewohnt hatten, lebten zu Kriegsende leitende Angestellte der Flugzeugfabrik.«
Die klug differenzierende und hervorragend gestaltete Ausstellung überrascht mit einem prominenten Zeitzeugen: Der in Dessau inhaftierte französische Fotograf Henri Cartier-Bresson dokumentierte die Rückkehr französischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener nach ihrer Befreiung. Die Ausstellung zeigt erstmals 32 seiner in Dessau aufgenommenen Fotografien.
Vor dem Hintergrund dieser ambivalenten historischen Erfahrung charakterisierte Matthias Neutzner in seinem Vortrag das Erinnern an die Luftkriegserfahrungen im Zweiten Weltkrieg als Auseinandersetzung um Zukunftsmodelle für unsere heutige Gesellschaft. Als biografische Erfahrung ist der Luftkrieg nach wie vor genauso spürbar wie in seinen materiellen und kulturellen Folgen. Diese gesellschaftliche Relevanz lässt das Erinnern an den Luftkrieg zum Mittel für unterschiedliche Gruppen werden, ihre Identität zu stärken und für gruppenbezogene Ziele zu werben. In den daraus entstehenden Konflikten muss es daher vor allem darum gehen, die Zielsetzungen der unterschiedlichen Erinnerungskulturen zu hinterfragen und das oft symbolbeladene Luftkriegserinnern auf verantwortliche, zukunftsfähige Ziele auszurichten.
In der anschließenden lebhaften Diskussion vertieften Ausstellungskurator Wolfgang Thöner, Alf Christophersen (Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt, Wittenberg) und Matthias Neutzner diesen Anspruch. Vor dem Hintergrund der Instrumentalisierung des Luftkriegserinnerns in Dessau durch geschichtsrevisionistische und rechtsextreme Gruppen hinterfragte das Publikum insbesondere Gegenstrategien der demokratischen Zivilgesellschaft.

Dessau, Juni 1945. Fotografie von Henri Cartier-Bresson
(Foundation Henri Cartier-Bresson, Paris | Ausstellung „Dessau 1945 – Moderne Zerstört“)
Ausstellung »Dessau 1945 – Moderne zerstört«
15. Mai bis 7. September 2014, täglich 10-17 Uhr
Bauhausgebäude, Werkstattflügel, Sockelgeschoss, Gropiusallee 38, 06846 Dessau-Roßlau
Montag bis Sonntag, 10-17 Uhr
In Kooperation mit der Foundation Henri Cartier-Bresson, Paris