Bürgerbegegnung 13. Februar 2017 | Andreas Schäfter: »Dresden und die anderen Dresden«

José María Gorroño Etxebarrieta, Bürgermeister der Stadt Gernika (rechts) und Andreas Schäfter, Friedensforschungszentrum Gernika Gogoratuz
Fotografie: Matthias Neutzner

Andreas Schäfter ist langjähriger Mitarbeiter des Friedensforschungszentrums Gernika Gogoratuz. Vor dem Hintergrund der zum weltweit bekannten Symbol gewordenen Zerstörung der Stadt Gernika engagiert sich das Zentrum vor Ort, national und international für Gewaltfreiheit und Menschenrechte. In seiner Rede zur Bürgerbegegnung am 13. Februar 2017 überbringt er auch eine Botschaft von Luis Iriondo, dem Sprecher der Überlebenden der Zerstörung Gernikas im April 1937,


 

Dresden und die anderen Dresden

 

»Gernika, Guernica und die anderen Gernikas. Eine Friedenssymbolik«, so hieß der Titel unserer 17. Tagung zu Kultur und Frieden im Jahre 2017 aus Anlass des 70. Jahrestages der Bombardierung. Gernika Gogoratuz, was auf Baskisch »Gernika erinnernd« heißt, bedeutet für uns immer, auch an alle anderen Orte, die im Luftkrieg zerstört wurden, zu erinnern. Allein in unserer Provinz Bizkaia waren es 30 solcher Städte und Dörfer, die deutsche und italienische Flugzeuge während des spanischen Bürgerkrieges angriffen. Alle wurden sie Opfer einer neuen und brutalen Militärstrategie: der Ausweitung des Krieges auf die Zivilbevölkerung durch Bombardements aus der Luft.

Gernika, eine damals eher unscheinbare Kleinstadt, mit ca. 5000 Einwohnern, war und ist eine für die baskische Bevölkerung wichtige Stadt, ein Symbol Ihrer Selbstständikeit, Identität und Demokratie. Picassos Gemälde machte ihre Zerstörung weltweit bekannt. Vor Jahren noch als Märtyrerstadt bezeichnet, versteht sich Gernika heute anders: Als Friedensstadt. In Anerkennung dessen verlieh ihr die UNESCO ihren Friedenspreis – vor allem dank ihrer Friedenseinrichtungen wie dem Friedensmuseum, dem Friedensforschungszentrum Gernika Gogoratuz, aber auch für die geleiste Friedensarbeit im Sinne einer Versöhnung mit Deutschland, zu der übrigens der kürz­lich verstorbene ehemalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog entscheidend beitrug.

Auch hier in Dresden haben viele unter Ihnen das schreckliche Leid der Luftangriffe erfahren müssen. Und auch hier haben sich Menschen zusammengetan, um aus dieser Erfahrung heraus eine verantwortungsvolle, kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu erreichen – mit einem Ziel: Weitere Dresden und Gernikas zu verhindern. Doch leider wächst die Liste der zerstörten Städte und der vernichteten Menschleben weiter und weiter: Homs, Palmyra, Kobane, Aleppo und viel andere – und nicht nur syrische Städte – sind dazu­gekommen. Wenn wir nach den Ursachen dieser Kriege fragen, dann stoßen wir in Syrien – wie im vergangenen Jahrhundert beim spanischen Bürgerkrieg – auf Macht- und ökonomische Interessen. Der spanische Bürgerkrieg war ein Krieg der Ideologien und Gesellschaftsentwürfe, daher die verschiedenen Interventionen von außen. Er gilt heute als Auftakt für den Zweiten Weltkrieg. Das sollte uns mit dem Blick auf unsere heutige Situation eine zusätzliche Mahnung sein.

Heute erinnern wir an das Leid Ihrer Stadt, aber auch an das Leid der Anderen. Wie in der Vergangenheit müssen auch heute Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen, um Schutz zu suchen. Damals wurde den spanischen Flüchtlingen – darunter Tausende Kinder – in manchen Ländern mit grosser Solidarität begegnet. Heute stoßen Flüchtlinge, wie Luis es in seinem Grußwort formulierte, vielerorts auf Mauern und Zäune.

Aber: Ziehen diese Mauern und Zäune sich nicht auch quer durch unser Denken und unsere Wahrnehmung? Hindern sie uns nicht daran, die Anderen als Mitmenschen zu erkennen?  Verbergen sie nicht die tatsächlichen Ursachen für Verunsicherung, für Prekarisierung und Krieg? Verstellen sie nicht den Weg dafür, uns für die Rechte der Anderen einzusetzen? Dabei wissen wir, und dies ist eine Lehre aus der Geschichte: Wer nicht für die Menschenrechte Anderer einsteht, ist bereits auf dem Weg, sie auch für sich zu verlieren.

Es ist also an der Zeit, meine Damen und Herren, liebe Friedensfreunde, aufzustehen, unsere Angst und Verunsicherung zusammen zu überwinden. Es ist an der Zeit, trotz der spürbaren Isolation in unseren Gesellschaften zu lernen aufeinander zuzugehen, Sorgen und Ängste zu teilen und uns gegenseitig Sicherheit zu geben. Es ist an der Zeit, die Kriegsursachen, also Macht- und ökonomische Interessen, anzuprangern. Es ist an der Zeit, zusammen für Menschen und Menschenrechte einzustehen. Dazu gehört das Recht auf Frieden, damit die schon viel zu lange Liste der bombardierten Städte wie Dresden, Gernika und Aleppo nicht noch länger wird. Dazu gehört, dass die schutz- und friedenssuchenden Menschen egal welcher Herkunft diesen auch bei uns finden können.

Für alls das brauchen wir Mut, Kraft, Ausdauer, aber auch Intelligenz und Kreativität – und vor allem Menschlichkeit. Ich möchte Sie und Euch dazu auffordern, am größten Kunstwerk der Menschheitsgeschichte mitzuwirken – am Frieden. Das braucht uns alle. Als junge Menschen in Gernika eine ehemalige Waffenfabrik zum selbstverwalteten Kulturzentrum machten, gaben sie sich einen Leitspruch: Zu barik ez dago! Ohne dich, geht es nicht!

Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit.
Ongi etorri Errefuxiatuak! – Willkommen Flüchtlinge