
27.10.207: Nora Lang (Mitte) im Kreis von Vereinsmitgliedern. Neben ihr: Dr. Juan Gutierrez, Philosoph, Friedensaktivist und Gründungsdirektor des Friedensforschungszentrums Gernika
In einer feierlichen Zeremonie erhielt Nora Lang gemeinsam mit vier weiteren Persönlichkeiten die (neben der Ehrenbürgerschaft) höchste Auszeichnung der Landeshauptstadt Dresden. Die Ehrenmedaille wurde auf Beschluß des Stadtrates verliehen und durch Oberbürgermeister Dirk Hilbert überreicht. Nora Lang ist seit fast zwei Jahrzehnten in unserer Gruppe aktiv und stellvertretende Vereinsvorsitzende. Sie erhielt die Auszeichnung in Anerkennung für ihren herausragenden Einsatz für Frieden, Versöhnung und Menschenrechte.
Laudatio
von Matthias Neutzner
Liebe Nora,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Hilbert,
liebe Gäste, liebe Freunde,
dieser Text hat mich zögern lassen: Wie wird man in der hier gebotenen Kürze der Biografie eines Menschen gerecht? In der Kargheit des Lebenslaufs? Im Ton herzlicher, familiärer Vertrautheit, die mich fast mein halbes Leben hindurch mit Nora Lang verbindet? In der lexikalischen Aufzählung ihrer Verdienste? Im Wiedergeben der zahlreichen anerkennenden, freundschaftlichen, ja: zärtlichen Aussagen von Weggefährten in aller Welt? In ihren eigenen Worten? Den klugen Reflexionen unserer komplexen und widersprüchlichen Vergangenheit? Der warmherzigen Anteilnahme und praktischen Solidarität mit den Betroffenen vergangenen oder gegenwärtigen Unrechts? Oder in ihrem Zorn über eine auch heute noch gewaltsame Welt? Auch: In ihren Zweifeln, ihrem Nachdenken über eigene Unzulänglichkeiten und Irrtümer? Wäre es nicht zusätzlich nötig, die Zeitläufe zu skizzieren, in die diese Biografie eingebettet, zu Zeiten auch eingezwängt war? Die der Erfahrungsrahmen jener moralischen Autorität sind, die Nora Lang zu einer der profiliertesten Persönlichkeiten ihrer Generation in unserer Stadt werden ließ, deren Wirken weit in die Welt ausstrahlt. Das ist in wenigen Minuten nicht zu leisten: Lassen Sie es mich stattdessen mit einigen Bildern versuchen ‒ ein rasches Vor- und Zurückblättern im Album unserer gemeinsamen Erlebnisse.
Ein erstes Bild: Frühjahr 1999. Gedämpftes Sonnenlicht in den Räumen des Friedensforschungszentrums im spanischen Gernika. Im Halbkreis sitzen ältere Menschen und erwarten uns. Sie waren Kinder, als die Bomber der deutschen Legion Condor ihre Stadt zerstörten. In unserer Mitte Nora Lang, in ihrem zugleich zugewandten wie zurückhaltenden Zuhören, das spüren ließ: Euer Schmerz findet Wiederhall in meinem Herzen und in meiner Biografie. Euer Anliegen ist auch meines. Mehrere Jahre und mehrere ihrer Besuche später, entschied das Friedensmuseum der Stadt, Noras persönliches Geschenk an die Überlebenden von Gernika, einen nach dem Februar 1945 aus dem Brandschutt ihres Elternhauses geretteten, zur Hälfte verkohlten Teller, zum Exponat der Dauerausstellung zu machen. Er erzählt heute die Geschichte einer späten, für alle Beteiligten mühevollen und daher wahrhaftigen Versöhnung. | Ein weiteres Erinnerungsbild: Neben Nora sitzt eine zerbrechlich wirkende, kleine Frau. Sie singt leise, kaum hörbar, ein Kinderlied, eine Erinnerung an ihr Leben vor dem Atombombenabwurf auf Nagasaki. Nora schweigt und hält ihre Hand. | Ein unscharfer Schnappschuss: Zornig über die eigene Unkenntnis erzählt mir Nora von einer Fernsehdokumentation über die erste Nacht des Zweiten Weltkrieges, als die Stukas der Luftwaffe noch vor Hitlers »5 Uhr 45« Hunderte schlafende Menschen in der polnischen Kleinstadt Wielun töten. »Wieso wusste ich nichts davon?« Mit enormer Energie sucht sie Vermittler und Kontakte. Jahre später ‒ ein nächstes Bild ‒ sitze ich am Kaffeetisch von Zofia Burchacinska, die jene Nacht überlebte, deren Bruder die SS in Warschau erschoss, und die nie wieder auf Deutsche treffen wollte. Beim herzlichen Abschied übergibt sie mir ein liebevoll verpacktes Präsent: »Für Pani Nora. Von uns«. Dieses »uns« meint die Überlebenden von Wielun. | Scheinwerferlicht: Unterkirche der Frauenkirche, 13. Februar 2003. Vor den Fernsehkameras stehen 20 ältere Menschen und begründen, warum sie persönlich gegen einen drohenden Krieg im Irak protestieren ‒ unter ihnen Nora Lang und der wenige Jahre ältere Luis Iriondo aus Gernika. »Wir wissen was Krieg wirklich bedeutet, jenseits der Fernsehbilder«, hieß es in ihrer gemeinsamen Erklärung. | Tage später erzählte mir Nora lachend, wie der Chefreporter der New York Times ihr geholfen hatte, den kippelnden Couchtisch in ihrer kleinen Johannstädter Wohnung zu fixieren. Als jenseits des Atlantiks sein großformatiger Bericht erschien, las sie überrascht. »Er hat uns als ›Dresdner Friedensaktivisten‹ bezeichnet. Sind wir das? Haben wir dafür genügend getan?«
Sie hat viel dafür getan ‒ gemeinsam mit Gleichgesinnten aus der Generation derjenigen, die Diktatur und Zerstörung in unserer Stadt erleben mussten und die in der Lage waren, in der Erfahrung eigenen Leids die Sensibilität für das Leid der anderen zu schärfen, die das Unrecht gesellschaftlicher Verhältnisse erkennen konnten, und die daraus die persönliche Verantwortung ableiteten, sich unbeirrbar für Frieden und Menschlichkeit einzusetzen.
Nun muss ich rascher blättern im imaginierten Album gemeinsamer Erinnerungen: Zahlreiche Motive mit Schulkindern ‒ aus Dresden, aus der Welt. Nora erzählt. Diskutiert. Versucht, die Fragen der Jüngeren, ihre Erfahrungen und Ängste zu verstehen. Sie betreut Schulprojekte. Spielt Theater mit Jugendlichen. Ich erinnere sie völlig erschöpft, aber glücklich nach stundenlangen intensiven Diskussionen beim ersten Dresdner Schülergipfel. | Ein anderes Bild: Nora unter hunderten Offiziersschüler, die die kleine Zivilistin in ihrer Mitte weit überragen. Sie diskutieren mit ihr über militärische Gewalt. Sie trägt die weiße Rose am Mantel, jenes bekennende Zeichen für Demokratie und Menschenwürde, das auf ihre Idee zurückging. | Das hatten auch die vielen Politiker angesteckt, als Nora mit ihnen auf den Beginn der ersten Dresdner Menschenkette an einem 13. Februar warteten. Sie hatten keine Ahnung, dass die bescheidene ältere Frau am Rande ihrer Gruppe die Anmelderin der Veranstaltung war. | Weiter: Ich erinnere begeisterte Jugendliche, die Nora und einige ihrer Altersgefährtinnen an die Spitze einer großen Demonstration drängten. Auf ihrem Transparent hielten sie rechten Geschichtsverdrehern entgegen: »Nicht in unserem Namen«.
Auch das gehört zu Nora Lang: Der Mut, unbequem zu sein. Öffentlich zu widersprechen. Stellung zu nehmen. Ungezählte Male stand sie so vor Film- und Fernsehkameras; die Zeitungsberichte aus aller Welt füllen Mappen. Nora spricht über Erinnern im Bewusstsein der historischen Verantwortung, über Solidarität mit den Opfern von Gewalt in der Welt, über das gemeinsame Eintreten für Menschenrechte.
Glücklich eine Stadt, denke ich, die solche Botschafterinnen besitzt.