Im Rahmen der Veranstaltungswoche FRIEDEN | KULTUR | STADT diskutierten am 20. September 2016 Dresdnerinnen und Dresdner mit Gästen aus Coventry, Pforzheim, Osnabrück und Würzburg: Versteht sich die Kulturstadt Dresden auch als Stadt der Friedenskultur? Was bedeuten »Frieden« und »Kultur« in diesem Zusammenhang? An welche Traditionen können wir anknüpfen? Was gefährdet die Kultur des Miteinander in unserer Stadt? Was können, was sollten wir tun?
Impulsbeitrag
Michael Bartsch | Frieden. Kultur. Stadt
Zwei Tage ist es her, nur scheinbar ein journalistischer Routinetermin, denn auch fast zwei Jahre, nachdem der gutbürgerliche Hass auf unseren Straßen erschien, will sich bei mir als gewissermaßen professionellem Beobachter keine Abgebrühtheit oder gar Zynismus einstellen. Sonntagnachmittag am Bautzner Kornmarkt: Zuerst eine rechte Kundgebung, wohlorganisiert vom Dresdner Pegida-Anwalt Jens Lorek. Aus den Rednern und Zwischenrufern bricht es heraus: Asylbewerber werden zu „Kulturbereicherern“ und „Schmeißfliegen“ degradiert, Merkel und überhaupt alle Verantwortungsträger müssen „weg“ und die gesamte „Hetzpresse“ gleich mit. Wohin sie „weg“ müssen, wird nicht gesagt, aber ich fühle mich dann stets an das im nazistischen Sprachgebrauch dafür übliche Verb „erledigen“ erinnert. Zwei Stunden später bietet die Antifa ein ähnlich martialisches, ja militantes Bild. Dumpfe Entschlossenheit, Kampfparolen.
Wir kennen solch bestürzende Aggressivität auch aus Dresden und anderen Orten. Wer aufmerksam beobachtete, wird schon seit Jahren eine latente Gereiztheit beobachtet haben, die nur Reste eines bürgerlichen Verhaltenskodexes am Umschlagen in offenen Hass hinderten. Dresdner Eliten versuchten sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten an klugen Interpretationsversuchen über die sprichwörtlich üble Dresdner Streitkultur. Aber verglichen mit den verbalen und tätlichen Exzessen unserer Tage erscheint inzwischen sogar die Konfrontation um den Bau der Waldschlösschenbrücke vergleichsweise zivilisiert und kultiviert. Immer selbstverständlicher wird nun das Bild eines Bürgerkriegs in Deutschland bemüht, Pegida-Demagogin Tatjana Festerling ruft indirekt dazu auf.
Ich hätte eine solche Entwicklung nicht für möglich gehalten mitten in Deutschland, weitab von den politisch, ökonomisch und religiös befeuerten Brandherden, die lodern, als seien Immanuel Kants Thesen „Zum ewigen Frieden“ nie gedacht worden. Ich meinte mit Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik West, langweiliger satter Wohlstand zeitige doch immerhin eine befriedigende und befriedende Nebenwirkung, und fortbestehende soziale Spannungen würden durch den Sickereffekt von oben nach unten gemildert. Stattdessen sinkt in beängstigender Weise die Hemmschwelle immer weiter, verstummt der Gewissensaufruf zur Selbstdisziplinierung.
Es ist nicht der Hass von Ausgebeuteten und Unterdrückten im Überlebenskampf, der sich auf den Straßen und den Datenstraßen Bahn bricht. Wir haben es unabhängig vom sozialen Status mit anthropologischen Konstanten zu tun, die analytisch und wissenschaftlich kaum zu fassen sind. Auch die eineinhalb Kilogramm schwere Pegida-Bibel von Prof. Patzelt und Joachim Klose kann das Phänomen nicht wirklich erklären. Wir, die Lügenpresse, beschreiben die Gräben durch die Stadt, die Risse durch Familien und Freundeskreise möglichst treffend und können doch nur Auslöser und Einflussfaktoren vermuten.
Ein Irrationalismus grassiert, der weit hinter alle Aufklärungsbemühungen des 18.Jahrhunderts zurückfällt. Irrationalismen, Phobien, Wahrnehmungsstörungen und hemmungsloser Subjektivismus und Egoismus aber bilden den Nährboden für Feindschaft und Krieg. Positiv formuliert: Der Frieden, über den wir hier reden, der zwischen Partnern, Nachbarn, Generationen, Regionen, Völkern und eben auch der einer Stadtgesellschaft beginnt beim einzelnen Subjekt, beim Individuum. Die UN-Erklärung von 1999 bietet hierfür einen Anknüpfungspunkt: Kriege entstehen im Geiste des Menschen – also muss auch die Verteidigung des Friedens im Geist ihren Anfang nehmen, heißt es schon in der Präambel. Wir können hier eigentlich nur darüber reden, wie wir auf die Gesundung des Geistes in uns selbst und in den „Nächsten“, um es biblisch zu sagen, die uns unvermeidlich begegnen, einwirken können.
Wenn ich „wir“ sage, gerate ich in Zweifel, wen ich eigentlich noch meine. Unwillkürlich würde ich an die so genannten Gutmenschen denken. Dass dieser Begriff so denunziatorisch zu einem Pejorativ abgewertet worden ist, indiziert allein schon die konfrontative und nihilistische Grundstimmung im Land und in der Stadt. Man hat nicht das Gute, sondern das Nützliche zu wollen. Unwillkürlich würde ich als ehemaliger Erzkatholik auch an die Christenmenschen, an das „Salz der Erde“ denken. Aber sie scheinen weniger relevant denn je, und ich finde mich in dem Entschluss von 1991 bestätigt, die Kirche zu verlassen, weil ich so viel Bigotterie nicht mehr ertragen konnte. Erst recht angesichts der Beschwörer eines christlichen Abendlandes auf diversen Lautsprecherwagen, aber auch in Talkshows und auf Pressekonferenzen, die keinen Schimmer beispielsweise von Matthäus 25 haben: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan – den Schwestern natürlich auch.
Sie hören meine Skepsis heraus, dass wir aus eigener Kraft und vor allem rechtzeitig aus dieser Falle der Konfrontation, der Beschimpfung und Bedrohung, der gegenseitigen Verweigerung herausfinden werden. Ängste, in Aggressivität umschlagende persönliche Defizite, die Einigelung gegenüber allem Ungewohnten und Unbekannten werden wir nicht ein für allemal beseitigen. Wir können aber Faktoren und Bedingungen zu ändern versuchen, die solche Irrationalismen begünstigen.
Damit fragen wir nach der Kultur. Und eine narzistische Kultur ist keine Friedenskultur, da bin ich bei Hans-Joachim Maaz. Selbstanbetung und Selbstoptimierung verhindern Öffnung. Ich sehe die Familientürme von Bologna vor mir und sehe sie auch in Dresden virtuell längst gewachsen. Lauter eingemauerte Gruppen. Aus Abschottung aller gegen alle wird dann schnell Hobbes „Bellum omnium contra omnes“.
Nicht-Krieg oder Noch-Nicht-Bürgerkrieg ist nicht gleichzusetzen mit Friedfertigkeit, leider. Ich sorge mich ernsthaft um einen bedrohten inneren Frieden, weil viele die akute Verrohung der Umgangsformen als selbstverständliches (narzistisches) Recht auf freie Meinungsäußerung ansehen. Deshalb darf keine Möglichkeit ausgelassen werden, die diesem bedrohten Pflänzchen Frieden Licht und Nahrung zuführen kann. Da bin ich endlich konkret in Dresden. Wir leben hier nicht nur in der Pegida-Hauptstadt, sondern auch in der Hauptstadt der Dialogversuche über die Gräben hinweg. Alle diese Versuche sind zu würdigen, bedeuten einen Wert an sich. Streiten – und zwar friedlich streiten – muss man nur über deren Effizienz. Große Formen im Kongresszentrum oder auch der Kreuzkirchendialog, ja sogar die Bemühungen Frank Richters in der Landeszentrale für Politische Bildung kranken alle am gleichen Symptom: Es gehen zwei Lager hinein und es kommen zwei Lager wieder heraus. In der Zwischenzeit applaudiert man den einen und buht die anderen aus. Kaum jemand lässt sich wirklich auf seinen andersdenkenden Nachbarn ein.
Deshalb sehe ich Schritte hin zu Öffnung, Austausch und nachhaltiger Befriedung nur in kleinen Formen, die weder Wortergreifungsstrategien noch eine Verweigerung gegenüber dem Dialogpartner erlauben. Wenn ich dann allerdings in wahrscheinlich spürbarer Sympathie über den Strehlener Bürgerdialog schreibe, werde ich von links und grün angezählt, weil dort auch stramme Rechte der Initiative „Strehlen wehrt sich“ in den kleinen Vieregruppen sitzen. „Dresden für alle“ zog seine Unterstützung zurück, weil man sonst sein Gesicht verlieren würde. Präventive Abgrenzung aber führt keinen Schritt in Richtung Frieden, sondern lässt uns bestenfalls in unseren exklusiven Gruppentürmen die Selbstbestätigung genießen. Aber wer noch auf einem gefestigten ethischen Fundament steht, muss doch eigentlich keinerlei Kontakte fürchten!
Ich möchte mich angesichts der nicht therapierbar erscheinenden Verhärtungen im Land an den Strohhalm klammern, dass auch von solchen kontroversen direkten Begegnungen zumindest eine winzige friedensstiftende Wirkung ausgeht. Denn der Frieden und eben auch der Krieg beginnt im Geiste jedes Einzelnen, nicht mit Massendemonstrationen.