Am Ostermontag 2018 nahmen Mitglieder unserer Gruppe an der »Friedenswanderung Sächsische Schweiz« im Rahmen der Ostermärsche teil. Etwa 200 Menschen waren dem Aufruf gefolgt. Die Wanderung endete mit einem kleinen Friedensfest im Kurpark Bad Schandau. Und ein Fest wurde es tatsächlich: Dafür sorgten die Frühlingssonne, zwei Bands und viele optimistische Gespräche.
Rede Matthias Neutzner zum Friedensfest
Liebe Friedensfreunde, seit genau 60 Jahren finden Ostermärsche statt. Seit 60 Jahren versammeln sich Menschen am Osterwochenende, um zum Frieden aufzufordern – und damit ein Menschenrecht einzuklagen und eine Menschenpflicht zu bekräftigen: Das Recht, ohne Gewalt zu leben, und die Pflicht, auf Gewalt zu verzichten. Über diese sechs Jahrzehnte hinweg haben die Ostermärsche in manchen Zeiten Hunderttausende mobilisiert, in anderen wenige Hundert Menschen. Geblieben ist die Dringlichkeit des Anliegens. Geblieben ist der Wunsch zum Frieden, der von einer deutlichen Mehrheit der Menschen auch unseres Landes geteilt wird. Auch wenn viele von ihnen verstummt sind, wenn sie sich verwirrt abgewandt oder resigniert zurückgezogen haben. Verstummt vor dem übermächtigen Konsumgeschrei, das uns umtost und hinter Reklame verbirgt, wie sehr unser Wohlstand auf Gewalt gründet. Verwirrt angesichts der Komplexität der globalisierten und digitalisierten Welt, in der vielfältige Ursachen mit vielfältigen Wirkungen verknotet sind, in der sich Menschen hinter Computern verstecken können, um zu lügen und zu töten. Resigniert vor der Größe der drängenden Probleme, deren jedes immer gleich die gesamte Welt betrifft. Resigniert auch angesichts dessen, dass die utopischen Entwürfe einer friedfertigen und gerechten Gesellschaft als erfolglos diskreditiert und als naiv abgetan sind.
Ja, ich habe Verständnis für Mutlosigkeit. Ich habe Verständnis für Zorn. Aber: Wenn wir Gewalt nicht durch Wegsehen unterstützen, wenn wir nicht selbst gewaltsam sein wollen, dann müssen wir uns auf die Stärken besinnen, die auch 60 Jahre Ostermärsche immer wieder aufgezeigt haben: Auf Anteilnahme und Solidarität mit den Betroffenen von Gewalt – in unserem Land und in der Welt. Auf klugen und wertschätzenden Meinungsstreit untereinander. Auf Kreativität und Mut im öffentlichen Engagement. Auf die Freude des Miteinander.
Wir sind nicht allein, auch wenn sich manches Mal nur wenige versammeln: Engagement für Frieden in unserer heutigen Welt muss vielfältig sein. Und es ist vielfältig: An unserer Seite sind die vielen Menschen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, die Schwache unterstützen, die Natur bewahren, die sich um das Klima sorgen, die Krieg und Rüstung anprangern, die über Gewalt aufklären, die zum Humanismus bilden, die alte Utopien und neue Ideen denken, die von einer besseren Welt träumen. Das sollte und kann uns Mut machen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit Gleichgesinnten zum Frieden zu verbünden und aktiv zu werden. Und alle sind gleichermaßen wichtig und berechtigt.
Lassen Sie mich mit einigen Aufgaben enden, die mir persönlich besonders naheliegen:
Helfen wir uns gegenseitig, Gewalt in unseren Städten und Dörfern entgegenzutreten: Nehmen wir unsere Nachbarn in ihren Biografien, ihren Sorgen und Überzeugungen ernst – auch dann, wenn sie nicht unsere Weltsicht teilen. Setzen wir uns gemeinsam den Mühen der Demokratie und des Einander-Überzeugens aus – erst recht wenn wir zu wissen glauben, was richtig und falsch ist.
Stärken wir uns gegenseitig, wenn wir im Alltag deutlich widersprechen und widerstehen müssen – etwa wenn gegen Schwächere gehetzt und sie zu Sündenböcken für die Ungerechtigkeit unserer Gesellschaft gemacht werden.
Streiten wir gemeinsam dafür, dass unser Land nicht noch mehr, sondern weniger Mittel in Militär investiert und stattdessen Milliarden für zivile Friedensdienste bereitstellt. Die brauchen wir in unserem Land genauso wie in der Welt. Machen wir Deutschland zum Exportweltmeister für kluge Diplomatie, für zivile Konfliktlösungen, für gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften.
Und eines noch: Bleiben wir wachsam uns selbst gegenüber, wenn wir drohen selbstgerecht zu werden und uns in bequemen Gewissheiten einzurichten. Frieden ist nie fertig. Frieden bedeutet, immer wieder neu zu erkunden, wie Menschenrechte verstanden und gesichert werden müssen.
Liebe Freunde, vor wenigen Wochen veranstaltete unsere Gruppe eine europäische Jugendbegegnung: Schülerinnen und Schüler aus Sarajevo, aus Madrid, aus Budapest und aus Dresden erkundeten, was es heute bedeutet, ein Friedensheld zu sein. Es war enorm berührend zu erleben, wie sie in der gemeinsamen künstlerischen Arbeit ein tiefes Vertrauen zueinander entwickelten. Als wir sie schließlich auf der Bühne sahen, konnte niemand der vielen Zuschauer im Saal mehr unterscheiden, welche der jungen Menschen aus welchem Land stammen, welche in muslimischen, christlichen, jüdischen oder atheistischen Familien leben. Stattdessen war für einen Moment ein menschenwürdiges Europa spürbar – ein Europa, das mehr ist als ein Binnenmarkt, ein Europa als solidarischer Friedenskontinent.
Vertrauen wir also aufeinander. Das scheint mir eine gute Osterbotschaft!
Fotografien: Matthias Neutzner